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Nix wie weg?! – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Wegzugsbesteuerung

Wer Anteile an Kapitalgesellschaften hält und das Land verlassen möchte, muss aufpassen: Das Finanzamt besteuert unter bestimmten Voraussetzungen den Vermögenszuwachs der Anteile im Zeitpunkt des Wegzugs. Das kann teuer werden. Die gesetzliche Regelung wird ab 2022 aufgrund von EU-Vorgaben deutlich verschärft. tatort:steuern erklärt, was sich ändert und wer sich beeilen sollte.

Wer sein Vermögen verkauft, erhält Geld. In vielen Fällen verlangt das Finanzamt davon seinen Anteil. Das mag ärgerlich sein, ist aber konsequent. Problematisch wird es, wenn Gewinne steuerlich erfasst werden, ohne dass eine Veräußerung stattfindet. Eine solche Rechtsfolge kann natürliche Personen betreffen, die Anteile an Kapitalgesellschaften (zum Beispiel GmbH-Anteile) halten und Deutschland durch Wegzug in einen anderen Staat verlassen. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, unterliegen Wertsteigerungen von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Zeitpunkt des Wegzugs der Einkommensteuer.

Diese im Außensteuergesetz enthaltene – auch als Wegzugsteuer bezeichnete – Regelung dient der Sicherung des deutschen Steueranspruchs. Denn mit Aufgabe des inländischen Wohnsitzes endet die unbeschränkte Steuerpflicht, und das Besteuerungsrecht verlagert sich im Regelfall in den neuen Ansässigkeitsstaat. So regeln es die meisten Doppelbesteuerungsabkommen, die Deutschland aktuell mit mehr als 90 Staaten abgeschlossen hat.

Bezüglich der in den Gesellschaftsanteilen eventuell über viele Jahre aufgebauten Vermögenszuwächse (stille Reserven) würde der deutsche Fiskus also leer ausgehen. So bittet das Finanzamt bei Wegzug zur Kasse, wenn der Steuerpflichtige zu mindestens einem Prozent an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Im Zuge der Umsetzung der „Anti Tax Avoidance Directive“ (ATAD) der Europäischen Union erfährt die Regelung ab 1. Januar 2022 nun erhebliche Änderungen und in Teilen deutliche Verschärfungen.

Grundregelung

Was galt bisher? Wer mindestens zehn Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war und seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgegeben hat, musste bei Wegzug die Vermögenszuwächse der Gesellschaftsanteile besteuern. Die Beibehaltung eines (Neben-)Wohnsitzes in Deutschland reichte nicht aus, da bereits die Verlagerung des Lebensmittelpunkts genügte, um die Besteuerungsfolgen auszulösen.

Beispiel 1 A wohnt in Deutschland und ist seit Jahrzehnten zu 50 Prozent an einer deutschen GmbH beteiligt. Die Anteile, die er für eine Million Euro erworben hatte, sind aktuell 11 Millionen Euro wert. Würde er diesen Anteil jetzt verkaufen, müsste er den Veräußerungsgewinn von 10 Millionen Euro versteuern. Steuerlich erfasst würden davon 60 Prozent (6 Millionen Euro) im Rahmen des sogenannten Teileinkünfteverfahrens. A müsste eine Einkommensteuer von rund 2,5 Millionen Euro an das Finanzamt abführen. Falls A unter Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes ins Ausland verzieht, entsteht die Steuer in gleicher Höhe auch ohne Verkauf.

Was ist neu? Als Grundtatbestand gilt auch künftig der Wegfall der unbeschränkten Steuerpflicht. Die Person muss nun allerdings innerhalb der vergangenen zwölf Jahre mindestens sieben Jahre lang in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sein. Durch die Beibehaltung eines (Neben-)Wohnsitzes im Inland können jedoch die Besteuerungsfolgen vermieden werden, wenn das deutsche Besteuerungsrecht für die Gewinne aus einer Veräußerung der Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Damit verbessert sich die Situation für Wegzüge in Länder, mit denen Deutschland keine Doppelbesteuerungsabkommen oder Abkommen, die keine Freistellung der Veräußerungsgewinne in Deutschland vorsehen, abgeschlossen hat.

Beispiel 2 In diesem Fall zieht A nach Brasilien und behält einen inländischen Wohnsitz (Nebenwohnung). Die unbeschränkte Steuerpflicht besteht wegen Beibehaltung eines Wohnsitzes weiter. Da mit Brasilien kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, wird das deutsche Besteuerungsrecht nicht beschränkt. Ein Wegzug ab dem 1. Januar 2022 löst keine Wegzugsbesteuerung mehr aus.

Aufgrund von Sonderregelungen in den Doppelbesteuerungsabkommen verbleibt bei reinen Immobilien-Kapitalgesellschaften das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Anteilsveräußerung häufig in Deutschland, sodass das Besteuerungsrecht auch in diesen Fällen bei Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes nicht beschränkt wird.

Besteuerung auch ohne Wegzug

Das Gesetz enthält Tatbestände, die sogar ohne Wegzug die Besteuerung des Vermögenszuwachses der Anteile auslösen und auch nach der ATAD-Umsetzung unverändert gelten. Zu nennen ist insbesondere die unentgeltliche Übertragung auf eine nicht steuerpflichtige Person.

Beispiel 3 A ist Alleingesellschafter der deutschen A-GmbH. Er stirbt. Seine beiden Kinder sind zu gleichen Teilen Erben. Der Sohn lebt in Deutschland, die Tochter in den USA. Folge: Soweit die Beteiligung der Tochter zuzurechnen ist, sind die stillen Reserven sofort zu versteuern.

Stundungsregelung

Greift die Wegzugsteuer, führt dies häufig zu Liquiditätsproblemen, da eine Anteilsveräußerung nur fingiert wird und dem Steuerpflichtigen kein Geld zufließt. Das Gesetz enthält daher besondere Stundungsregelungen, die nun eine deutliche Verschärfung erfahren.

Was galt bisher? Im Falle eines Wegzugs in andere EU- oder EWR-Staaten wurde der Steueranspruch ohne Antrag und ohne Sicherheiten dauerhaft zinslos gestundet. Damit kam es bis zu einer späteren Veräußerung faktisch zu einer Dauerstundung. Der Steuerpflichtige musste jährlich – jeweils bis zum 31. Januar des Folgejahres – dem Finanzamt seinen aktuellen Wohnsitz mitteilen und die unveränderten Beteiligungsverhältnisse bestätigen. Hatte er dies versäumt, konnte er es nachholen.

Was ist neu? Künftig ist die Steuer in sieben gleichen Jahresraten zu entrichten. Die zinslose Ratenzahlung wird nur noch auf Antrag gewährt und kann von Sicherheitsleistungen abhängig gemacht werden. Es erfolgt keine Unterscheidung mehr zwischen EU-/EWR- und Drittstaaten. Damit verschlechtert sich die Situation deutlich in allen Wegzugsfällen innerhalb der EU. Hier sollte gegebenenfalls schnell gehandelt werden, um das alte Recht noch zu sichern. Die Mitteilungspflicht zum aktuellen Wohnsitz und den unveränderten Beteiligungsverhältnissen ist bis zum 31. Juli des Folgejahres zu erfüllen. Wird dies vergessen, kommt es zum Widerruf der gewährten Ratenzahlung. Es ist demnach penibel darauf zu achten, dass die jährliche Mitteilung fristgerecht erledigt wird.

Rückkehrfälle

Wer Deutschland nur für bestimmte Zeit den Rücken kehrt, zum Beispiel wegen eines Studiums im Ausland, erfährt durch das neue Recht etwas mehr Flexibilität. Zwar löst der Wegzug die Besteuerung aus, gleichwohl kann der Antrag auf Ratenzahlung gestellt werden. Bei nachgewiesener Rückkehrabsicht werden die Raten nicht erhoben, sodass es in diesen Fällen faktisch eine vollständige Stundung der Steuer geben wird. Für die Rückkehr hat man statt fünf nun sieben Jahre Zeit, diese Frist kann einmalig um weitere fünf Jahre verlängert werden.

FAZIT Die Regelungen zur sogenannten Wegzugsteuer werden ab 1. Januar 2022 deutlich verändert. Mangels Stundungsmöglichkeit sollten Wegzüge in andere EU-Länder noch bis Ende 2021 erfolgen. Dagegen kann die Besteuerung bei Wegzug in Staaten, mit denen kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, durch Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes künftig vermieden werden. Es sind zahlreiche Sonderregelungen zu beachten, die eine rechtzeitige und individuelle steuerliche Beratung unabdingbar machen.

© Jonathan Kemper – unsplash.com