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Der Umgang mit der Freiheit – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Mitarbeiterführung

Der Umgang mit der Freiheit

Vor 2020 lag der Anteil von Arbeitszeit im Homeoffice in Deutschland bei fünf Prozent, dagegen wurden 95 Prozent der Arbeit im Büro geleistet. Mit der Coronapandemie hat sich dieses Verhältnis komplett gedreht. Aber auch künftig wird es nicht wieder zu den alten Zahlen kommen. Volker Tepp teilt für tatort:steuern seine Gedanken dazu.

Wir haben uns an Homeoffice und digitale Meetings gewöhnt, und beides wird auch in Zukunft viel stärker präsent sein. Hybrides Arbeiten wird der Weg der Zukunft. Mitarbeitende haben die Vorteile dabei ebenso entdeckt wie die Firmen, die viel Geld einsparen können, da zum Beispiel weniger Büroflächen benötigt werden und weniger Nebenkosten entstehen. Aber damit kommt es zu neuen spezifischen Herausforderungen für Führungskräfte.

Im Coaching von Führungskräften erlebe ich oft die Angst vor Kontrollverlust. Die Führungskräfte wissen nicht, was die Mitarbeitenden im Homeoffice wirklich an Arbeitsleistung erbringen. Hier ist es sinnvoll, in offener Kommunikation regelmäßig Arbeitspakete zu verabreden und diese auch zu kontrollieren. Vertrauen und Kontrolle schließen sich dabei nicht aus! In Meetings die Arbeitsverabredungen regelmäßig zu besprechen, ist daher gerade bei hybridem Arbeiten wichtig.

Im Coaching von Mitarbeitenden erlebe ich dagegen oft die Rückmeldung von fehlendem Vertrauen der Führungskräfte. Vertrauen ist letztlich eine wertschätzende Haltung. Dabei wird den Mitarbeitenden ein guter Umgang mit der „Freiheit“ im Homeoffice zugetraut. Dennoch bleibt das Recht, die Leistungen zu besprechen, bestehen. Dabei ist es wichtig, dass Führungskräfte weniger die inhaltlichen Aufgaben fokussieren, sondern mehr die Ermöglichung dieser Aufgaben in der Individualität ihrer Mitarbeitenden. Es gibt eben nicht den einen Mitarbeiter-Typus. Spätestens im Homeoffice zeigt sich der Unterschied zwischen Lerchen (Früharbeitende) und Eulen (Nachtarbeitende). Es zeigt sich deutlicher, wer introvertiert und wer extrovertiert ist. Es zeigt sich, wer beziehungsorientiert und wer sachorientiert ist. Und Führungskräfte müssen diese Unterschiede wahrnehmen und die Mitarbeitenden viel bewusster individuell führen als in der Vergangenheit. Manche Mitarbeitenden brauchen viel Struktur, andere können sich sehr gut selbst organisieren.

Die Individualität der Mitarbeitenden wahrzunehmen, wird sehr viel bedeutsamer werden, und es braucht klare Konzepte, wie diese spezifisch geführt werden müssen. Künftig wird es sehr viel wichtiger für Führungskräfte sein, klare Antworten zu haben auf die Frage: Wie kann ich diese Mitarbeiterin oder jenen Mitarbeiter unterstützen und motivieren, damit diese oder dieser ihre oder seine Arbeitsleistung erbringen kann?

Ein ernst zu nehmendes Problem stellen dabei Depression, Überlastung und Stress dar. Aktuelle Zahlen zeigen auf, dass in den Krankmeldungen zu 40 Prozent eine Anpassungsstörung als Diagnose auf dem „gelben Schein“ steht, zu 17 Prozent sind es depressive Episoden. Gab es im Jahr 2022 bei 100 Versicherten 339 Fehltage, hat sich diese Zahl im Jahr 2023 fast verdoppelt!

Hybrides Arbeiten braucht ein komplett neues Mindset und viel mehr an Begleitung und Coaching als in der Vergangenheit. Und selbst das Unternehmen Zoom hat verstanden: Eine hybride Lösung bedeutet, dass Angestellte ein oder zwei Tage die Woche im Büro mit ihren Teams interagieren!

 

Volker Tepp arbeitet seit dem Jahr 2000 als Coach, Supervisor und Berater. Er ist examinierter Theologe und Diplom-Pädagoge und Mitglied in verschiedenen Beratungs-, Coaching- und Supervisionsfachverbänden und war von 2009 bis 2022 Vorstandsmitglied der EASC – European Association for Supervision and Coaching.

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