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Eine Privat-angelegenheit – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

In der deutschen Strafrechtswissenschaft gilt die Entführung als ein Sonderfall der Freiheitsberaubung. Das Opfer einer Entführung wird an einen Ort verbracht, der nur den Tätern bekannt ist, überwiegend, um ein Lösegeld zu erpressen.

Während die durchschnittliche Supermarktkassiererin eine Entführung mit anschließender Lösegeldforderung selten zu fürchten braucht, ängstigen sich die Reichen umso mehr, von den Schwer- und den Superreichen ganz zu schweigen. Und so sorgen sie vor: So wie Popsternchen ihre Hintern und Sportsternchen ihre Oberschenkel versichern können, können seit Ende der 90er-Jahre Menschen, die glauben, für eine Geiselnahme in Betracht zu kommen, eine sogenannte „Kidnap & Ransom-Versicherung“ abschließen, die ihnen im Falle einer Entführung das gezahlte Lösegeld erstattet.

Jedwede Art der Häme verbietet sich hier natürlich. Denn wie bei vielen Gewaltverbrechen endet auch das Leid der Entführungsopfer in den meisten Fällen nicht mit ihrer Rückkehr zu ihren Familien. Die psychischen Folgen einer Entführung sind oft langwierig und für viele Betroffene schwer zu bewältigen. Und da unsere Psychen so individuell verschieden und unberechenbar sind wie ein in einer dünnen Hirnschale gezündetes Silvesterfeuerwerk, reagiert jeder anders auf eine solch einschneidende Erfahrung. Die einen verdrängen sie, die anderen setzen sich mittels Therapie mit ihr auseinander, sublimieren sie in Büchern oder drehen Filme darüber. Wieder andere nähern sich der Auseinandersetzung mit dem Erlebten über die finanzielle Seite der Geschichte. Alles, was hilft.

Das erste Entführungsopfer in Deutschland, das versuchte, einen Teil des Lösegeldes als Betriebsausgabe abzusetzen, war der Aldi-Teilhaber Theo Albrecht, der im Winter 1971 entführt und für 17 Tage festgehalten wurde. Er legte vor dem Finanzgericht Münster dar, dass die Aufwendung des Lösegeldes unmittelbar mit dem von ihm geleiteten Betrieb zusammenhing, da er für Kidnapper nur in seiner Funktion als (schwerreicher) Supermarktbesitzer interessant war, nicht jedoch als Privatperson. Das Lösegeld sei daher als Betriebsausgabe nach § 4 Abs. 4 EstG absetzbar.

Die Richter widersprachen. Ihrer Meinung nach war und blieb Albrechts Entführung Privatsache. Das Lösegeld sei in erster Linie „zur Erhaltung von Leben und Gesundheit seiner Person und zur Wiederherstellung seiner Freiheit“ gezahlt worden. Und nicht, um den reibungslosen Weiterbetrieb seiner Supermarktkette zu gewährleisten, basta.

Vielleicht empfanden sich die Münsteraner Richter bei der Vorbereitung ihres Urteils selbst als ein wenig herzlos. Ein Entführungsopfer derart harsch abzufertigen … Sie gestatteten Albrecht immerhin, das Lösegeld als „außergewöhnliche Belastung“ bei seiner nächsten Steuererklärung geltend zu machen.

Im Fall des Gastronoms Bernhard Keese urteilten die Richter des Bundesfinanzhofs ähnlich. Keese und seine Verlobte waren – im selben Jahr wie Albrecht – vor Keeses Haus überfallen und gewaltsam festgehalten worden. Die Verlobte ließen die Täter kurz darauf laufen, damit sie 100.000 Mark von Keeses Konto abheben und ihnen übergeben konnte. Beide wurden daraufhin freigelassen.

Bei der Gewinnermittlung seines Gewerbebetriebs wollte Keese schließlich die 100.000 Mark Lösegeld als Betriebsausgabe absetzen. Und biss aus genau denselben Gründen wie Albrecht auf Granit. Nur dass das Schicksal (und die Richter) für den armen Keese noch eine weitere bittere Pointe bereithielten: Hätten die Entführer Keese selbst geschickt und seine Verlobte behalten, wäre die Entscheidung sehr wohl zu seinen Gunsten ausgefallen. Denn Keeses Verlobte war zum Zeitpunkt ihrer Entführung Keeses Prokuristin. Das Lösegeld hätte durchaus als Betriebsausgabe geltend gemacht werden können, wäre es zum „Freikauf einer Mitarbeiterin“ verwendet worden.

Glücklicherweise haben sich die Zeiten geändert. Seitdem sich eine Cypererpressung bequem aus dem Homeoffice durchführen lässt, sind Entführungen aus der Mode gekommen. Keine modrigen Keller, keine Verfolgungsjagden, keine Übergaben an den Mülleimern zugiger Waldparkplätze. Und der guten Nachrichten kein Ende: In Fällen, in denen eine Lösegeldzahlung für die Entschlüsselung von mit Ransomware infizierter IT-Systeme erfolgt, ist der Betriebsausgabenabzug grundsätzlich möglich.