Glosse
Des Bösen zu viel
Über zwölf Millionen Menschen in Deutschland handeln mit Aktien. Manche in großem, aber doch sehr viele mehr in bescheidenerem Maßstab. Viele dieser Kleininvestoren treibt der Traum an, durch den Kauf und Verkauf von Wertpapieren genug Gewinn zu erzielen, um eines schönen Tages die allerletzte Banane über den Barcodescanner zu ziehen und nie wieder hinter die Supermarktkasse zurückkehren zu müssen. Ein Leben am Strand, finanziert durch ausreichende Dividendenausschüttungen, hach, wie schön wäre das!
Doch um ein erfolgreicher Trader zu sein, braucht es eine Menge. Trading ist als Disziplin ungefähr so komplex wie rhythmische Sportgymnastik. Man braucht Jahre, um sie zu beherrschen, und ist dabei extrem verletzungsanfällig. Trader brauchen ein breites Wissen, müssen gut mit Stress umgehen können, bei heftigen Kursschwankungen ruhig bleiben und nicht sofort mit den sechzig engsten Freunden im Fünf-Sterne-Ressort einchecken, sobald erste Gewinne gemacht wurden. Sie müssen eine gesunde Risikomanagement-Strategie und Stop-Loss-Regeln entwickeln, um zu verhindern, dass die 5.000 Euro, die sie für ihre Patentante angelegt haben, sich plötzlich in Luft auflösen. Trading erfordert zwei Dinge, die man auch bei Shaolin-Mönchen findet: Disziplin und unendlich viel Geduld. Und ein Ding, das man eher bei Anlegern findet: den unbedingten Wunsch am langfristigen Erfolg des Unternehmens, an dem man Anteile hält.
Eine Laune der menschlichen Natur hat dem Aktienhandel jedoch auch die dunkle Seite des Aktienkäufers beschert: den räuberischen Aktionär! Auch als Berufs- oder Mehrfachkläger bekannt, ersteht diese Person in vielen Fällen lediglich für, sagen wir mal, zehn Euro eine einzige Aktie eines Unternehmens, was sie berechtigt, gegen Hauptversammlungsbeschlüsse der betreffenden Aktiengesellschaft Anfechtungsklagen einzureichen, um damit Druck auf das Unternehmen auszuüben und Entschädigungszahlungen zu erpressen. Da wichtige Beschlüsse wie Kapitalerhöhungen nur mit einem Eintrag ins Handelsregister rechtskräftig werden, der jedoch bedingt, dass die Beschlüsse nicht angefochten werden, zahlen sich die zehn Euro, die unsere professionellen Anfechter in ihre Aktie investiert haben, schnell aus. Denn Unternehmen fürchten nichts mehr als langwierige Gerichtsverhandlungen, die Sand in das Getriebe ihrer wirtschaftlichen Bemühungen werfen, und finden sich meist bereit, dem Kläger in einem außergerichtlichen Vergleich eine „Entschädigung“ zu zahlen, sprich, sich von ihm erpressen zu lassen. Diese „Schadensersatzzahlungen“ erreichen schnell fünfstellige Höhen und sind für räuberische Aktionäre ausgesprochen lukrativ, da auch noch steuerfrei.
Denkste. Denn die Richter im Finanzgericht Köln sind auch nicht erst gestern aufgestanden und nahmen einem dieser Berufskläger sein Geschädigtsein schlichtweg nicht ab. Der Klagehansel hatte erklärt, dass die kapitalerhöhungbedingte Verwässerung des Aktienwertes seiner Aktie eine Entschädigung von mehr als zehntausend Euro rechtfertige. Als das Gericht erfuhr, dass der Kläger lediglich eine einzige Aktie erstanden hatte, nannte sie dessen Forderungen abseitig. Als das Gericht dann auch noch herausfand, dass der Berufskläger bei gleich mehreren Unternehmen dieselbe Tour fuhr, beschied es, dass die erwerbsmäßige Anfechtungsklagerei des Klägers ein Geschäftsmodell sei und die eingegangenen Zahlungen voll als Umsatz beziehungsweise Einnahme zu versteuern seien. Und so leerten sich die Taschen, in denen der räuberische Aktionär seine Gewinne verstaut hatte, ebenso schnell, wie sie sich gefüllt hatten. Eine schlechte Nachricht für alle eventuellen Nachahmer: Wenn sich Betrug nicht mehr lohnt, ist ehrliche Arbeit oft die einzige Alternative.