Kompakt
Erben fürs Reich
Warum bezahlen wir eigentlich Erbschaftsteuer? Eine fiktive Erzählung mit historischen Fakten
Berlin, 1811. Preußen ist bankrott, der Krieg gegen Napoleon hat das Land ausgezehrt. König Friedrich Wilhelm III. trommelt seine Minister zusammen. „Neue Steuern auf Brot und Bier? Da stehen sie mit Mistgabeln vor dem Schloss.“ Ein Finanzrat lächelt vorsichtig: „Majestät, besteuern wir doch die, die nichts mehr sagen können – die Toten. Augustus hat so seine Legionen bezahlt. Genua macht’s seit 1395, die Niederlande seit Langem. England und Frankreich? – die einen seit 1694, die anderen seit der Revolution.“ Der König nickt: „Die Toten protestieren nicht. Beschließen wir’s.“ So startet 1811 die Erbschaftsteuer in Preußen – nicht aus Idealismus, sondern weil die Staatskasse dringend Futter braucht.
Berlin, 1873. Das junge Deutsche Reich glänzt nach dem Sieg über Frankreich, doch die Bilanz ist ernüchternd: Kriegsschulden drücken, das Militär will ausgebaut, Reichsbehörden geschaffen und der Haushalt konsolidiert werden. Und vor allem – das Reich soll finanziell unabhängiger von den Einzelstaaten werden. Also erlässt Preußen das erste umfassende Erbschaftsteuergesetz auf deutschem Boden. Hamburg folgt 1894, Baden 1899. Jeder Staat regelt anders: mal großzügige Freibeträge, mal strenge Sätze – ein Steuerpuzzle, das keiner so recht durchschaut.
Berlin, 1906. Reichskanzler Bernhard von Bülow schlägt die Akten zu. „Ein Flickenteppich! Das Bürgerliche Gesetzbuch hat 1900 das Erbrecht vereinheitlicht – Zeit, dass auch der Fiskus einheitlich zulangt. England und Frankreich zeigen, wie’s geht. Preußen liefert das Muster.“
Am 1. Juli 1906 ist es so weit: Das Reichserbschaftsteuergesetz tritt in Kraft. Einheitliche Regeln, progressive Sätze – und eine verlässliche Einnahmequelle für Aufrüstung, Reichsverwaltung und die Entlastung der Länder. Heute gibt es die Steuer immer noch – nun als Ländersteuer mit Bundesrecht. Sie bringt Milliarden und sorgt dafür, dass große Vermögen nicht völlig unberührt weitergegeben werden.
Von Bülow hätte es wohl schmunzelnd formuliert: „Wer erbt, teilt – mit der Familie und ein bisschen mit dem Staat.“
© Illustration: Frank Albinus