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„Wie unter einem Brennglas“ – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Interview

„Wie unter einem Brennglas“

Was macht Top-Leadership in Krisenzeiten wie der gegenwärtigen Pandemie aus? Wie kann ich mich als Führungskraft dahin entwickeln? tatort:steuern sprach dazu mit Johannes Schley, Geschäftsführer der IOS Schley & Partner GmbH, einem Institut für Organisationsentwicklung & Systemische Beratung in Hamburg.

Herr Schley, was ist in dieser Krise anders als zum Beispiel in der Finanzkrise?

Auch in der Finanzkrise waren viele Unternehmen hart gefordert. Aber die aktuelle Krise hat zusätzlich eine beschleunigende Wirkung auf die digitale Transformation. Als Reaktion auf die zerstörerische Kraft der Krise entstehen also viel Kompetenz und neue Unternehmenskultur, die über die aktuelle Phase hinaus wertvoll sein können – sofern sie als „neue Normalität“ nach der Homeoffice-Zeit in die Unternehmen mitgenommen werden.

Wodurch zeichnet sich gute Führung jetzt aus?

Eine Top-Führungskraft findet gerade jetzt die richtige Balance zwischen dem Blick auf den Menschen und dem Blick auf das Ergebnis. Der Unterschied zu gewöhnlichen Zeiten ist also gar nicht so groß. Allerdings findet jetzt alles wie unter einem Brennglas statt. Vor allem müssen Impulse nun kommunikativ sehr exakt gesetzt werden. Das liegt daran, dass wir in dieser Situation sehr viel mehr über digitale Kanäle kommunizieren. Viele Kontextinformationen, die persönliche Gespräche in realen Umgebungen bieten, entfallen dabei.

Ist digitale Kommunikation also ein Nachteil?

Sie hat auch Vorteile. Zum Beispiel ist es viel leichter, sich schnell digital mit Menschen zu verbinden, die man sonst aufgrund von funktionalem oder hierarchischem Abstand weniger sieht.

Haben Sie einen Tipp, wie virtuelle Teams besonders erfolgreich zusammenarbeiten können?

Am wichtigsten ist, in einer Retroperspektive regelmäßig die Zusammenarbeit zu überprüfen: Wie haben wir diese Woche miteinander kommuniziert? Was brauchen wir anders? Was soll bleiben? So lassen sich zum Beispiel Zahl und Dauer der Meetings optimieren und Verantwortungen besser verteilen. Eine solche Routine, alle sieben Tage, kann Wunder wirken, denn die Anforderungen an das Team ändern sich von Woche zu Woche bei dieser globalen wie persönlichen Achterbahnfahrt.

Viele Firmen stecken jetzt in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Worauf muss Leadership in solchen Zeiten den Fokus setzen?

Es gilt die Substanz des Unternehmens zu schützen. In der Unternehmensführung heißt es mehr denn je, einen kühlen Kopf und ein warmes Herz zu bewahren, statt hitzköpfig und kaltherzig zu agieren. Wem das gelingt, der erhöht die Chance, dass die Mitarbeiter – in guter Verfassung – bei der Stange bleiben und sich mit voller Motivation gegen die Krise stemmen. So wird diese Herausforderung zur Quelle der Stärke – auch für die Zeit danach.

Sie beschäftigen sich in Ihrem Institut mit Organisationsentwicklung. Was ist das Ziel Ihrer Beratungen?

Wir helfen den Unternehmen, eine höhere „Immunkraft“ gegen Veränderungen im Wettbewerb aufzubauen. Das gilt zum Beispiel für den Wandel im Arbeitsmarkt, auf dem Bewerber mittlerweile oft am längeren Hebel sitzen, und ebenso für mögliche Disruptionen etablierter Geschäftsmodelle. Gute Immunkraft zeigt sich in echter, gelebter Agilität – die sich daran misst, wie rasch ein Unternehmen nach einer Störung wieder handlungsfähig ist. Wir glauben darüber hinaus, dass eine gute Kombination von Effizienz und Miteinander zu einem tiefen Arbeitsglück führt, das Unternehmen nachhaltig erfolgreich macht.

Was würden Sie als positive Anregung einem Unternehmer, der von den Krisenmaßnahmen direkt betroffen ist, mitgeben?

Wie Top-Sportler, die von Verletzungen zurückgeworfen wurden, sollte er das Ziel haben, noch stärker zurückzukommen. Jetzt können Projekte realisiert werden, für die bislang keine Zeit da war. Unter dem aktuellen Druck kann auch jeder trainieren, noch cleverer Prioritäten zu setzen. Unternehmer sollten auch Routineaufgaben, die sich jetzt als nicht hilfreich erweisen, identifizieren und loslassen – und auch hinterher nicht wieder aufnehmen. Wichtig ist mir dieser Rat: Stärken Sie Ihr Netzwerk, ziehen Sie sich nicht zurück, sondern richten Sie den Blick nach außen, auf Partnerunternehmen, Dienstleister und Mitbewerber.

 

* Johannes Schley ist seit 2016 Geschäftsführer des 1985 gegründeten Familienunternehmens IOS Institut für Organisationsentwicklung & Systemische Beratung. Für IOS sind 19 Mitarbeitende tätig. Das Institut beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit strategischem Kulturwandel und der Veränderungsbegleitung in der Unternehmensspitze.

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