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Juchhei, nun ist die Hexe tot! – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Glosse

Hexen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Waren sie früher noch des gewohnheitsmäßigen Schadenzaubers verdächtig oder gar der Paktiererei mit dem Teufel persönlich, taugen sie heute nur noch als Akteure in Humperdinckschen Kinderopern oder, wie die beliebte Reihe „Die Hexe Schrumpeldei und ihre Tochter Schrumpelmei“ beweist, in schrägen Hörspielen für Menschen zwischen vier und acht. Die echte Hexe an sich mag diese Entwicklung begrüßen, wurden ihre Kolleginnen doch vom späten Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert aufgespürt, festgenommen und meist zeitnah hingerichtet. Pest, Missernten und dreißigjährige Kriege hatten die Leute nach Sündenböcken Ausschau halten lassen. Die Legalisierung von Folter hatte wie immer einen positiven Effekt auf die Anzahl von Geständnissen unter Frauen, die der Zauberei verdächtigt wurden. Und so brannten bis in die Neuzeit an die 60.000 Scheiterhaufen in ganz Europa.

Am 2. April 1756 wurde in Landshut die letzte Hexe, die gar keine war, geköpft. Entgegen anderslautenden Gerüchten spielte die katholische Kirche jedoch nur eine untergeordnete Rolle bei Hexenprozessen. Die Misogynie der Kirche mag nicht hilfreich gewesen sein beim Kampf gegen grassierende Wahnvorstellungen, aber die europäische Hexenverfolgung wurde eher von einer breiten Zustimmung der lokalen Bevölkerung getragen und vor staatlichen Gerichten verhandelt, nicht vor kirchlichen. Die katholische Inquisition, ansonsten immer ganz vorne mit dabei, wenn es galt, Unschuldigen den Prozess zu machen, hielt sich beim Thema Hexerei auffallend zurück. Man glaubte an die Allmacht Gottes und nicht an die Zauberei. Wenn Zauberei also unchristlicher Aberglaube war, warum sollte man angeblichen Zauberern ans Leder?

Doch auf ebendiese angebliche Rolle der katholischen Kirche berief sich Ende der Achtzigerjahre ein Arbeitgeber aus München, der sich weigerte, die Kirchensteuer für seine Mitarbeiter einzubehalten. Er stellte beim Finanzamt den Antrag, vom „aufgezwungenen Inkassodienst für kriminell tätig gewesene Religionsgesellschaften, hier speziell die römisch-katholische“, freigestellt zu werden. Eine entfernte, aber doch direkte Vorfahrin sei im Jahre 1664 als Hexe verbrannt worden. Diese grausame Erinnerung mache ihm die Ausübung besagten Inkassodienstes unmöglich. Die Vorstellung, seine Urahnin schaue ihm beim Kirchensteuereintreiben über die Schulter, nehme ihm die Luft zum Atmen. Das Münchner Finanzgericht machte trotz dieser Einwände kurzen Prozess mit der Klage des feinfühligen Unternehmers und berief sich auf die ständige Rechtsprechung zum Kirchensteuereinbehalt durch den Arbeitgeber. Sollte er sich weiterhin weigern, würde man ihn wie bei der Lohnsteuer auch als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen, basta.

Man kann den Inhaber einer Münchner Manufaktur für handgemachte Lederwaren belächeln, der mit dieser Klage vor dem Finanzgericht vorstellig wurde. Aber man muss, muss, muss ihn bewundern für seine Chuzpe. Aus dem Tod einer Urahnin im 17. Jahrhundert ein transgenerationales Trauma zu konstruieren, das es ihm unmöglich macht, Steuern zu zahlen. Das muss einem doch erst einmal einfallen! Man darf annehmen, dass auch die Richter aufrichtige Dankbarkeit verspürt haben. Die Arbeit am Finanzgericht, so viel darf man verraten, ist kein WM-Endspiel und kein Wimbledon-Finale. Ein Fall wie dieser sorgt für die Heiterkeit, die dem Richten über Steuerangelegenheiten sonst manchmal fehlt. Drücken wir dem Lederwarenhersteller alle verfügbaren Daumen für neue, unterhaltsame Ideen der Steuervermeidung. Diese hier? Auf der Chuzpe-Skala von eins bis zehn ganz klar eine Zehn.

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