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Die Trägheit der Einstimmigkeit – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Brennpunkt

Die Trägheit der Einstimmigkeit

Ende Mai haben alle Bürger der EU ihre Abgeordneten für das Europäische Parlament direkt gewählt. In den Wochen des Wahlkampfes ist uns einmal mehr bewusst geworden, wie Straßburg und Brüssel mehr und mehr Einfluss auf die Regeln nehmen, die wir hier in Deutschland zu beachten haben. Gilt das auch für die Steuern, die wir zahlen?
Ganz einfach ist die Frage nicht zu beantworten. Zunächst gilt: Das Recht, Steuern zu erheben, abzuschaffen oder anzupassen, obliegt nach geltendem Recht den einzelnen Mitgliedstaaten. Jeder nationalen Regierung in der EU steht es also frei, das Steuersystem so zu gestalten, wie sie es für angebracht hält – wenn dabei alle Vorschriften des EU-Rechts eingehalten werden.

Ziele der europäischen Steuerpolitik

Ganz ungebunden sind die einzelnen Mitgliedstaaten in der Steuerpolitik also doch nicht. Schon heute wird oftmals, zum Beispiel im Umsatzsteuerrecht, der Einfluss der EU über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes spürbar. Künftig wird mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr und mehr Europa in unsere Steuerregeln einfließen. Und das aus gutem Grund, denn Steuern haben natürlich auch eine europäische Dimension. So liegt es im Interesse der EU, steuerliche Hindernisse für die grenzübergreifende Wirtschaftstätigkeit zu beseitigen. Ebenso will Brüssel dem schädlichen Steuerwettbewerb in der EU zu Leibe rücken und schließlich bietet sich auch im Kampf gegen die Steuerhinterziehung eine gemeinschaftliche Vorgehensweise an.

Unter dem Strich ist es Ziel der politischen Entscheidungsträger in der EU, durch eine verstärkte Harmonisierung der Steuerpolitik ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum der Staatengemeinschaft zu fördern. In der Praxis zerplatzt so manch eine darauf abzielende Initiative allerdings an dem in der EU geltenden Einstimmigkeitsprinzip. Es macht die europäische Gesetzgebung nicht nur langsam und behäbig, sondern auch anfällig für politische Machtspiele.

Kommission will Blockaden verhindern

Brüssel hat nunmehr Anfang des Jahres einen Vorschlag vorgelegt, der das Dilemma der Einstimmigkeit in der EU-Steuerpolitik lösen soll. Entscheidungen sollen auch mit qualifizierter Mehrheit möglich sein. Zustimmen müssten dem Vorschlag zufolge mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die gleichzeitig 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen.

Folgen die Mitgliedsländer diesem Vorschlag, dann können einzelne EU-Staaten europäische Gesetzgebungsprozesse nicht mehr blockieren. Auch in der Steuerpolitik könnte dann auf europäischer Ebene eine neue Dynamik entstehen. Derzeit liegt vieles in der Brüsseler Finanzpolitik auf Eis, weil manche Mitgliedsstaaten nicht mitspielen. Blockiert werden beispielsweise eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer, eine gemeinsame Umsatzsteuerreform, Sanktionen gegen Steueroasen oder Maßnahmen gegen den systematischen Steuerbetrug. Zuletzt prallte auch ein Vorstoß ab, der auf eine EU-Digitalsteuer abzielte. Die Kommission hatte vorgeschlagen, Internetriesen wie Google, Facebook & Co, die deutlich weniger Steuern als Industriebetriebe zahlen, stärker in die Pflicht zu nehmen. Vor allem Irland, das die Europa-Zentrale von Facebook beherbergt, stellte sich entschieden gegen Vorschlag.

Die EU-Kommission bat unter ihrem Präsidenten Jean-Claude Juncker angesichts des großen Widerstandes einzelner Nationalstaaten die „Souveränität zu bündeln“, um die Union zu einigen und deren Zusammenhalt zu stärken. Die Weltpolitik erfordere, dass Europa stärker zusammenstehe und agiere statt nur zu reagieren. Tatsächlich wirkt die Einstimmigkeitsregel im europäischen Demokratisierungs- und Integrationsprozess als Hemmschuh für Veränderungen. Aber wie dem auch sei: Die EU braucht Einstimmigkeit, um die Einstimmigkeit abzuschaffen und genau diese Einstimmigkeit besteht im Moment nicht.

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