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Mathe fürs Finanzamt – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Grundstücksbewertung

Mathe fürs Finanzamt

Aktuelle Änderungen in Bewertungsverfahren verunsichern viele Steuerzahler. Vor allem bei Mehrfamilienhäusern wird die steuerliche Übertragung im Erb- oder Schenkungsfall teurer. tatort:steuern erklärt aus diesem Anlass die unterschiedlichen Immobilienbewertungen.

Die Grundlage für die Bewertung von Immobilien bietet das Bewertungsgesetz (BewG). Grundsätzlich wird der „gemeine Wert“ zugrunde gelegt, sprich der Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielen wäre. Beim Grundvermögen gibt es jedoch einige Besonderheiten.

Wichtig Vorab ist zu unterscheiden, ob es sich um ein bebautes oder unbebautes Grundstück handelt.

Bewertung unbebauter Grundstücke

Der Wert eines unbebauten Grundstücks bestimmt sich regelmäßig nach seiner Grundstücksfläche und dem Bodenrichtwert. Die Bodenrichtwerte ermitteln die Gutachterausschüsse und stellen sie den Finanzämtern zur Verfügung. Es ist immer der Bodenrichtwert anzusetzen, der vom Gutachterausschuss zuletzt vor dem Bewertungsstichtag zu ermitteln war. Sofern kein Bodenrichtwert vorhanden ist, ist der Bodenwert aus den Werten vergleichbarer Flächen abzuleiten.

Grundstückswert = Bodenrichtwert × Grundfläche

Beispiel A verstirbt am 15. Juni 2022 und vererbt ein unbebautes Grundstück mit einer Fläche von 700 Quadratmetern. Der zuständige Gutachterausschuss hat zuletzt zum 31. Dezember 2020 einen Bodenrichtwert von 120 Euro pro Quadratmeter ermittelt. Im April 2022 ermittelt der Gutachterausschuss zum 31. Dezember 2021 einen Bodenrichtwert von 145 Euro pro Quadratmeter. Dem Finanzamt wird der neue Wert erst im August 2022 mitgeteilt.

Der Bodenrichtwert von 145 Euro pro Quadratmeter wird verwendet, da dieser der letzte vor dem Bewertungsstichtag (15. Juni 2022) vom Gutachterausschuss ermittelte Wert ist.

Grundstückswert: 101.500 € (700 × 145)

Bewertung bebauter Grundstücke

Bei bebauten Grundstücken ist jeweils nach der Grundstücksart zu unterscheiden. Nach dem Bewertungsgesetz gibt es drei Bewertungsverfahren:

Vergleichswertverfahren
Im Vergleichswertverfahren werden Wohnungseigentum, Teileigentum und Ein- und Zweifamilienhäuser bewertet. Bei Anwendung des Vergleichswertverfahrens sind Kaufpreise von Grundstücken heranzuziehen, die über ihren Wert vergleichbare Merkmale mit dem zu bewertenden Grundstück haben (Vergleichsgrundstück). Grundlage sind vorrangig die von den Gutachterausschüssen mitgeteilten Vergleichspreise. Ein Vergleichsgrundstück liegt vor, wenn es hinsichtlich der Lage, Art und Nutzung sowie der Größe und des Alters mit dem zu bewertenden Grundstück weitestgehend übereinstimmt.

Ertragswertverfahren
Das Ertragswertverfahren findet Anwendung auf Mietwohngrundstücke, Geschäftsgrundstücke sowie gemischt genutzte Grundstücke, für die sich auf dem örtlichen Grundstücksmarkt eine übliche Miete ermitteln lässt. Im Ertragswertverfahren werden Bodenwert und Gebäudeertragswert getrennt voneinander errechnet, die dann gemeinsam den Wert bestimmen.

Ertragswert = Bodenwert + Gebäudeertragswert

Der Bodenwert ermittelt sich wie bei den unbebauten Grundstücken. Der Gebäudeertragswert gibt die zu erwartenden Einnahmen aus der Immobilie an und ermittelt sich wie folgt:

Rohertrag − Bewirtschaftungskosten = Reinertrag − Verzinsung des Bodenwerts = Gebäude-Reinertrag × Vervielfältiger = Gebäude-Ertragswert

Beispiel Ein gemischt genutztes Grundstück mit einem gewerblichen Anteil von mehr als 50 Prozent
Grundstücksfläche 700 m²
Bodenrichtwert 500 €/m²
Wohnfläche 400 m²
Miete/m² 10 €
Restnutzungsdauer 24 Jahre
Bewirtschaftungskosten 27 % (basierend auf Restnutzungsdauer)
Liegenschaftszins 5,00 %

1. Bodenwert ermitteln
= Bodenrichtwert × Grundstücksfläche

Bodenwert: 350.000 € (500 × 700)

2. Rohertrag ermitteln
= Wohnfläche × Miete je m² × 12 Monate

Rohertrag: 48.000 € (400 × 10 × 12)

3. Reinertrag ermitteln
= Rohertrag − Bewirtschaftungskosten (48.000 × 27 % = 12.960)

Reinertrag: 35.040 € (48.000 − 12.960)

4. Gebäude-Reinertrag ermitteln
= Reinertrag − Bodenwertverzinsung (350.000 × 5 % = 17.500)

Gebäude-Reinertrag: 17.540 € (35.040 − 17.500)

5. Vervielfältiger bestimmen
Vervielfältiger = 13,8

Formel:

i = Zinsfaktor = 1 + p/100
p = Zinssatz (Liegenschaftszins)
n = Restnutzungsdauer

6. Gebäude-Ertragswert ermitteln
= Gebäude-Reinertrag × Vervielfältiger

Gebäude-Ertragswert: 242.052 € (17.540 × 13,8)

7. Ertragswert ermitteln
= Gebäude-Ertragswert + Bodenwert

Ertragswert: 592.052 € (242.052 + 350.000)

Wieso wird das Ertragswertverfahren angewendet?
Hier steht nicht der Sachwert der Immobilie im Vordergrund, sondern wie viel Gewinn und Rendite durch die Immobilie erzielt wird. Das Verfahren kann nur auf Gebäude angewandt werden, die in Zukunft Erträge abwerfen, also meist Mietimmobilien.

Sachwertverfahren
Das Sachwertverfahren wird angewendet auf Grundstücke, die eigentlich nach dem Vergleichswertverfahren zu bewerten wären, für die aber kein geeigneter Vergleichswert vorliegt – auch auf Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzte Grundstücke, für die sich am örtlichen Grundstücksmarkt keine übliche Miete ermitteln lässt, sowie für sonstige bebaute Grundstücke. Es ist sozusagen ein „Auffangverfahren“.

Die Bewertung erfolgt auch hier zweistufig.

Sachwert = Bodenwert + Gebäudesachwert

Der Bodenwert ermittelt sich wie bei den unbebauten Grundstücken.

Der Gebäudesachwert ermittelt sich wie folgt:
Regelherstellungskosten je Flächeninhalt × Flächeneinheit (Brutto-Grundfläche) = Gebäuderegelherstellungswert − Alterswertminderung = Gebäudesachwert + Bodenwert = vorläufiger Sachwert × Wertzahl = Sachwert des Grundstücks

Neuerungen durch das Jahressteuergesetz 2022

Die oben dargestellten Bewertungsverfahren wurden durch das Jahressteuergesetz 2022 zum Teil angepasst. Diese Neuerungen gelten für Bewertungsstichtage seit dem 31. Dezember 2022.

Im Bewertungsgesetz werden insbesondere das Ertrags- und Sachwertverfahren zur Bewertung bebauter Grundstücke sowie die Verfahren zur Bewertung in Erbbaurechtsfällen und Fällen mit Gebäuden auf fremdem Grund und Boden an die geänderte Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) angepasst.

Damit soll sichergestellt werden, dass die von den Gutachterausschüssen für Grundstückswerte auf der Grundlage der ImmoWertV ermittelten, sonstigen für die Wertermittlung erforderlichen Daten unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Modellkonformität weiterhin bei der Grundbesitzbewertung (nach dem Bewertungsgesetz) für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Grunderwerbsteuer sachgerecht angewendet werden können.

Insbesondere werden dabei die Liegenschaftszinssätze und die Wertzahlen für das Sachwertverfahren an das aktuelle Marktniveau angepasst. Die Anpassungen können insbesondere bei Übertragungen von Ein- und Zweifamilienhäusern sowie Eigentumswohnungen zum Anstieg der Schenkung- und Erbschaftsteuer führen, soweit im Einzelfall das Sachwertverfahren einschlägig ist. Vorrangig ist hier immer das unverändert gebliebene Vergleichswertverfahren anzuwenden, das im Wesentlichen auf Vergleichsfaktoren oder Vergleichspreisen der örtlich zuständigen Gutachterausschüsse basiert.

Achtung Von den steuererhöhenden Änderungen sind vor allem Mehrfamilienhäuser betroffen, bei denen regelmäßig der Ertragswert herangezogen wird.

Tipp Die drei dargestellten Bewertungsverfahren basieren vor und nach den Anpassungen durch das Jahressteuergesetz 2022 auf Pauschalierungen und vereinfachten Annahmen. Besonderheiten können oft nicht berücksichtigt werden. Daher besteht für den Steuerpflichtigen immer die Möglichkeit, einen niedrigeren Grundstückswert durch ein Sachverständigengutachten nachzuweisen.

© Vanessa Garcia (M)