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„Ende der Präsenzkultur“ – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Interview

„Ende der Präsenzkultur“

Monika Maria Lehmann ist Geschäftsführerin der fellaws consult GmbH. Mit diesem Ecosystem berät sie Unternehmen in den Bereichen Change, Arbeitsrecht, Human Resources, Kommunikation und Kultur. Ihre Erfahrung: Nur mit der Verknüpfung dieser Disziplinen in Konzept und Umsetzung sind Veränderungen erfolgreich. Im Interview mit tatort:steuern spricht die Expertin für „Change“-Prozesse über Auswirkungen der Pandemie auf Raumplanungen von Unternehmen.

Während des Lockdowns waren auf einmal die Sperrmüll-Höfe überfüllt, weil die Menschen ausmisteten und ihr Zuhause schöner gestalteten. Spüren Sie einen Aufräumimpuls auch auf Unternehmerseite?
Ja, ich nehme ein Sortieren auf allen Ebenen wahr. Wir sind noch lange nicht in einem Zustand „beyond Corona“ angekommen, sondern erleben eher eine anhaltende Zwischenphase. Geschäftsmodelle haben sich in großer Geschwindigkeit digitalisiert oder müssen radikal weitergedacht werden. Zwei Drittel der Mitarbeiter sind noch immer im Homeoffice tätig. Erste Learnings aus der Arbeit in Krisenstäben werden identifiziert und für die Zukunft kulturell fortgeschrieben. Mehr hierarchieübergreifende Kommunikation, kreative und schnelle Entscheidungen sind spürbar.

Welche Entwicklung sollte das Büro als Arbeitsort nehmen?
Für Unternehmerinnen und Unternehmer stellt sich jetzt die Frage, mit welchem zukunftsfähigen Konzept sie das Thema der unterschiedlichen Arbeitsorte gestalten wollen. Geschickte Antworten auf diese Frage werden mittelfristig ein Wettbewerbsvorteil beim Gewinnen und Halten der besten Köpfe sein.

Was ist bei Arbeitsort-Konzepten zu beachten?
Es müssen mehrere Dimensionen integriert betrachtet werden. Dabei geht es um arbeitsrechtliche, kommunikative, kulturelle und prozessuale Aspekte sowie natürlich um die Dimension des Raumes selbst. Unternehmen müssen sich im Büro auf ein erhöhtes Bedürfnis nach Begegnung und Austausch einstellen, wenn ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauerhaft häufiger im Homeoffice tätig sein werden.

Sind nicht gerade Begegnung und Austausch unter Hygieneaspekten schwer umzusetzen?
Ja, und die aktuellen Abstandsregeln werden uns noch länger begleiten. Sie schränken beispielsweise das kurze Gespräch in der Kaffeeküche drastisch ein. Aber auch für den dynamischen Workshop im Kreativraum bedarf es neuer Lösungen. Dennoch: Der Wunsch nach Nähe ist groß und braucht planerisch neue Antworten.

Wird künftig unter dem Strich weniger Fläche benötigt?
Die jetzt schon oft zu beobachtenden Kündigungen von Mietflächen, welche natürlich verlockende Kostenreduzierungen ermöglichen, sind aus meiner Sicht zu kurz gesprungen. Es gilt zunächst die An- und Abwesenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Facetten und für alle Bedürfnislagen ganz neu zu denken – erst dann können Unternehmen wirklich beurteilen, welche Flächen künftig benötigt werden.

Welche Anreize können Unternehmer setzen, um vermehrt mobil arbeitende Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden?
Allein die Tatsache, dass ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden in Aussicht stellt, auch zukünftig unter entsprechenden Rahmenbedingungen weiter mobil arbeiten zu können, ist für viele attraktiv und wird als wertschätzend empfunden. Ein Ende der Präsenzkultur zeichnet sich ab. Damit einher geht auch, dass für viele die Trennung von Arbeits- und Wohnraum aufweicht.

Wird die Homeoffice-Ausstattung der Dienstwagen der Zukunft?
Auf jeden Fall wird es um die Frage gehen, inwieweit sich Unternehmen an den Kosten des Homeoffice beteiligen. Zurzeit sind wir alle noch in der Phase des Improvisierens. Langfristig wird niemand den höhenverstellbaren Tisch mit ergonomischem Stuhl gegen den dauerhaften Platz am Küchentisch tauschen wollen – mal ganz davon abgesehen, welche juristischen und datenschutzrechtlichen Implikationen hier zu beachten sind.

Können Räume positiven oder negativen Einfluss auf Veränderungsprozesse haben?
Ein jahrzehntealter Leitspruch von mir ist, dass Veränderung immer sichtbar, erlebbar und fühlbar sein sollte. Beispiel: Eine Führungskraft kann ihre Routinen unterbrechen und sich neue Perspektiven verschaffen, wenn sie ein neues Büro bezieht. So wird Veränderung vorgelebt. Räume sollten idealerweise die angestrebte Veränderung widerspiegeln. Sie laden umgekehrt zum Umdenken ein. Corona beschleunigt das Nachdenken über Räume im Change exponentiell.

 

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