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Kernbereiche menschlichen Lebens – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Glosse

Unsere Kinder müssen fallen, damit sie lernen, aufrecht zu gehen, und sie müssen scheitern, damit sie lernen, nach Misserfolgen wieder aufzustehen. Und wir müssen sie lassen. Ihnen dabei zuzusehen und nicht einzugreifen, ist wohl eine der schwersten Prüfungen für eine Mutter oder einen Vater. Und nicht immer klappt es so gut mit der gebotenen Zurückhaltung. Die zunehmende Zahl von Versuchen, Studienplätze einzuklagen, spricht da Bände. Der Sohn möchte Medizin studieren, hat aber weder den nötigen Numerus clausus 1,0 erreicht noch die Geduld, sich auf eine Warteliste setzen zu lassen? Er will weder seine ersten Semester an einer Universität in Litauen verbringen und danach den Quereinstieg versuchen noch auf die Auswahlverfahren der Universitäten vertrauen? Es soll jetzt und sofort passieren, wie letztes Mal und alle Male zuvor, als seine Eltern ihm den Weg freigeräumt haben. Mutti? Kommst du mal? Mutti kommt. Und Mutti klagt. Sie beauftragt einen Anwalt, der sich in Verwaltungs- wie Verfassungsrecht auskennt und dementsprechende Stundensätze berechnet. Und der dem Richter erklärt, dass laut Artikel 12 des Grundgesetzes in Deutschland die freie Berufswahl gilt, ein Recht, das durch den Numerus clausus eingeschränkt wird. Und diese Einschränkung, so führt er weiter aus, ist nur insoweit verfassungskonform, wie die Universität ihre Kapazitäten an Studienplätzen wirklich und vollständig ausgeschöpft hat. Falls nicht, fordert er hiermit einen der nicht vergebenen Plätze für seinen Klienten ein. Jawohl. So weit, so schön.

Doch leider werden auf diese Weise entdeckte freie Plätze oft per Losverfahren verteilt. Und das Glück, das kann auch der beste Anwalt nicht erzwingen. Aber er kann eine gepfefferte Rechnung schreiben. Schon das Vorgespräch musste er leider berechnen. Was? Das hat der Mutti keiner gesagt? Ja, so eine Schlamperei. Nur leider, leider: An der Rechnung ändert das nun mal gar nichts. 13.113,68 Euro sind futsch und der erhoffte Studienplatz ebenso. Endgültig. Ein schwerer Schlag. Die Portokasse ist bis auf Weiteres blank.

Da kommt der Mutter die Idee, ihre Anwaltskosten als außergewöhnliche Belastung von der Steuer abzusetzen. Wie pfiffig! Nur, das Finanzamt gibt sich bockig. In seinen Augen sind Anwaltskosten ausbildungsbedingte Mehraufwendungen, die durch Kindergeld und Kinderfreibetrag bereits steuerlich entlastet wurden. Die Mutter schweigt. Doch es ist kein einsichtiges Schweigen. Es ist die Ruhe, in der eine Mutter all ihre Kräfte sammelt, um sich voll in die Schlacht zu werfen. Diese Kosten seien ihr nicht im Zusammenhang mit der Ausbildung ihres Sohnes entstanden, sondern um sein Recht auf ein Leben als Arzt durchzusetzen! Fazit: Ihr Einkommensbescheid müsse geändert werden. Das Finanzgericht sieht das nicht ein. Steuerliche Entlastung, nur damit die Mutter ihrem Sohn ideale Chancen zu seiner beruflichen und wirtschaftlichen Entfaltung verschaffen kann? Nö. Zivilprozesskosten seien nur dann abzugsfähig, wenn der Rechtsstreit Kernbereiche menschlichen Lebens berühre. Die Mutter schäumt. Ihr Sohn! Sein Leben als Arzt ist nicht der Kernbereich seines Lebens? Mag sein. Aber es ist der Kernbereich ihres Lebens! Was sie für ihn geopfert hat? Sie hat alles für ihn geopfert! Ihre Zeit, ihre Jugend, ihre Figur. Ungezählte Stunden über seine Hausaufgaben gebeugt, in Elternsprechstunden abgehangen, bei Nachhilfelehrern verschwen­det. Sie hat ihre Katzen, ihr Leben und ihre Ehe vernachlässigt, um das bestmögliche Kind zu erschaffen. Und jetzt kann sie es nicht einmal von der Steuer absetzen? Da ist was faul im System, sie hat es lange schon geahnt. Während seine Mutter sich von ihrem Groll durchbacken lässt, beschließt das Kind, zunächst einmal ein paar Semester Zahnmedizin in Burkina Faso zu studieren. Vielleicht lehrt ihn der Zustand des Gesundheitswesens von Ouagadougou die Demut, die ihm bisher gefehlt hat. Einsicht. Auch nicht steuerlich absetzbar. Aber definitiv kernbereichernd.