Brennpunkt
Der Aufschrei aus dem Regel-Labyrinth
Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, dieses Heft in der Hand halten, dann wissen Sie etwas, was wir noch nicht wussten, während wir diese Seiten planten und die Texte schrieben: Sie kennen das Ergebnis der Bundestagswahl. Doch egal, wer in den Bundestag einzieht oder am Ende einen Platz im Kabinett findet, einer Erwartungshaltung der Bürger sind sich hoffentlich alle Parlamentarier bewusst: Die Deutschen sind der Regulierung überdrüssig. Der Bürokratieabbau möge ganz weit vorn in der künftigen Koalitionsvereinbarung stehen.
Ja, klar – so können einige nun entgegnen – das wünschen wir uns schon immer, aber ist nicht mit jeder Legislaturperiode das Regel-Labyrinth nur noch ein bisschen dichter geworden? Mag sein, und doch hat sich etwas verändert. War einst die Kritik an der Regulierung getragen von der Zuversicht, dass wir auch die nächsten Bürokratiemonster überstehen werden, so heißt es jetzt: Bürokratie muss man sich leisten können, und genau das können wir nicht mehr.
Denn in weiten Teilen der Wirtschaft läuft es nicht gut. Und uns dämmert, dass wir nicht einfach nur ein Konjunkturtal durchschreiten und der nächste Aufschwung nicht so schnell kommen wird. Nein, diesmal stecken wir in einer strukturellen Krise, die nicht mit ein bisschen Wirtschaftspsychologie zu erklären ist und die nicht automatisch endet. Nur wenn wir die strukturellen Probleme unserer Wirtschaft beseitigen, werden wir wieder kräftig wachsen können. Und zu diesen strukturellen Problemen gehört auch die Bürokratie. Die überbordende Regulierung lähmt die Wirtschaft, weil sie Projekte verzögert oder stoppt, weil sie in den Unternehmen Kosten verursacht und die internationale Wettbewerbsfähigkeit schwächt. Das Ifo-Institut hat in einer Studie die Kosten der Bürokratie durch entgangene Wirtschaftsleistung in Deutschland auf 146 Milliarden Euro pro Jahr errechnet. Kein Wunder also, wenn sich die neue Regierung den Bürokratieabbau auf die Fahnen schreiben wird. Denn Bürokratieabbau – im Allgemeinen – ist ein populäres Thema.
Bürokratieabbau im Speziellen – nämlich dann, wenn es um konkrete Regeln geht, die abgeschafft werden sollen – ist indes unpopulär. Denn für nahezu jede Regel, die eingeführt wurde, gibt es einen Grund, der die Interessen einer bestimmten Klientel berührt. Proteste von Lobbyisten sind die Folge.
Viel wäre geholfen, wenn im ersten Schritt schon einmal verhindert würde, dass stetig neue Paragrafen die Lage verschärfen. Doch stattdessen werden Jahr für Jahr mehrere Hundert neue Gesetze und Verordnungen geschaffen, ohne dass dafür alte entfallen. Gleich aus drei Ebenen sprießen neue Regulierungen auf uns zu: aus Brüssel, aus Berlin und aus den Hauptstädten der Bundesländer. Zusätzlich machen die einzelnen Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung den Unternehmen das Leben schwer, wenn sie ihre Entscheidungen bis ins letzte Detail rechtlich absichern oder ihre eigenen Interpretationen der Regeln anwenden.
Auch wir Steuerberater bekommen die Bürokratie immer stärker zu spüren. Dennoch halten wir an unserer Hoffnung fest, dass der Aufschrei der vielen betroffenen Firmen aus dem Regel-Dickicht vernommen und wirksame Deregulierung betrieben wird. Es wird sich zeigen, ob das Gefühl von Krise und Stillstand bereits so groß ist, dass tatsächlich ein Umdenken stattfindet.
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