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Störenfriede und Quacksalber – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Glosse

Störenfriede und Quacksalber

Wer heute das Psychiatriemuseum des im Südhessischen gelegenen Philippshospitals besucht, braucht das, was die Mehrheit der Insassen im 19. Jahrhundert vermeintlich nicht hatte: gesunde Nerven. Denn wie hier einst mit Patienten umgesprungen wurde, lässt uns auch heute noch erschauern. Holzräder, in denen „Rasende“ sich müde laufen sollten, Zwangsstühle, Fußfesseln, Tobzellen, Eisbäder und lederne Fixierhandschuhe sind nur ein Teil des vorsintflutlichen Folterarsenals. Es brauchte damals nicht viel, um hier zu landen und nie wieder raus zu dürfen. Für ein kleines Handgeld fand sich jederzeit ein Quacksalber, der lästig gewordenen Ehefrauen und anderen Störenfrieden gefährliche Wahnvorstellungen und Hysterie attestierte und für ihre prompte Zwangseinweisung sorgte. Und da richtig gute Ideen einfach nicht kaputt zu kriegen sind, versuchte auch die hessische Landesregierung, auf diese Weise einige ihrer Beamten zum Schweigen zu bringen.

In den 1990-er Jahren konnte niemand mehr Unbequeme ins Philippshospital einweisen lassen. Auch nicht die Spezialeinheit der Frankfurter Steuerfahndung V, die damals äußerst erfolgreiche Razzien bei Großbanken veranlasst und für Tausende Verfahren gesorgt hatte. Blitzgescheit und aktenverliebt galt sie lange als Speerspitze ihrer Behörde. Bis sie Anfang 2000 die Amtsverfügung ihrer Vorgesetzten erhielt, nur noch Verdachtsfälle über 500.000 Mark zu verfolgen. Wie bitte? Dass große Vermögen oft in kleinste Summen aufgeteilt werden, um sie dem Fiskus zu entziehen, ist selbst dem Parkwächter der Kreissparkasse Klein-Rudow bekannt. Seltsam war diese Amtsverfügung. Unverständlich. Und kontraproduktiv. Unter den Fahndern wuchs der Verdacht, hier sollten vermögende Steuerhinterzieher von ganz, ganz oben geschützt werden. Heimlich setzten sie ihre Ermittlungen fort. Als ihre Vorgesetzten ihnen schließlich doch auf die Schliche kamen, wurden die Kämpfer für Steuergerechtigkeit erst zwangsversetzt, dann degradiert und schließlich systematisch gemobbt. Einige stellten ihren Protest aus Angst ein, andere wurden depressiv. Über die letzten verbliebenen Kämpfer ließ die Regierung ein psychiatrisches Gutachten einholen, das ihnen bequemerweise eine „paranoid-querula­torische Entwicklung ohne Aussicht auf Besserung“ bescheinigte. Und das Jahre später von der Landesärztekammer als eine „sittenwidrige Gefälligkeitsbegutachtung“ deklassiert wurde, die dem Psychiater eine Geldstrafe von 12.000 Euro und die Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 230.000 Euro einbrachte.

Doch erst einmal war man die übereifrigen Fahnder los. Sie verschwanden nicht für den Rest ihrer Tage im Kellergeschoss eines Irrenhauses, das leider nicht. Aber dank des Gutachtens konnte man sie endlich zwangspensionieren. Wie herrlich ruhig es plötzlich war! In den Büros der Landesregierung konnte man das Faxpapier leise knistern hören. So ruhig!

Doch die Regierung hatte nicht mit der Beharrlichkeit ihrer eigenen Beamten gerechnet, einer Beharrlichkeit, die auch vor einem 25 Jahre währenden Rechtsstreit nicht zurückschreckt. Die aufrechten Kämpfer zogen vor Gericht. Und bekamen recht! Und weil sich in der deutschen Psychiatrie seit dem frühen 19. Jahrhundert nicht alles, aber doch einiges zum Besseren gewendet hat, gelten die Kläger nun offiziell als nicht mehr verrückt. Und sie überlegen, mit dem Klagen noch ein bisschen weiterzumachen.

So ist es gut, dass das Psychiatriemuseum der Vitos Klinik Philippshospital im südhessischen Riedstadt mahnt: Wie sehr man auch versucht, die Wahrheit zum Schweigen zu bringen, sie ist durch Zwangsjacken nicht zu bändigen und durch Gitter nicht zu halten. Und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist keine Pointe. Das ist einfach hoffnungsvoll und schön.

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