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784 Jahre Urlaub auf Kreta – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Glosse

Meine Freundin Margitta ist kein schlechter Mensch, aber ihr wird schnell alles zu viel. Frühes Aufstehen, die Sorge um andere, Arbeit im Allgemeinen. All das löst bei Margitta Drehschwindel aus und den Wunsch, für immer im Bett zu bleiben. Margitta hat ihren gesamten Alltag darauf ausgerichtet, ihre Verpflichtungen gegenüber dem Leben und den Lebenden so gering wie möglich zu halten. Nach kaum zehn Jahren in ihrem Job verhalf ihr eine Vielzahl rätselhafter gesundheitlicher Beschwerden zur Frühverrentung. Die Miete für ihre Einzimmerwohnung ist lächerlich gering. Ihre Ernährung besteht ausschließlich aus Dosensuppen von Aldi. Ihre Stretchjeans und wattierten Westen findet sie in der Kinderabteilung von C&A. Ihre Haare schneidet sie mit einem Bartschneider, den sie vor Jahrzehnten bei einer Tombola gewonnen hat. Margitta hat weder einen Partner, noch hat sie Kinder, und von ihrer zahlreichen Verwandtschaft hält sie sich fern (ergo keine Ausgaben für Geburtstags-, Hochzeits- oder Weihnachtsgeschenke). Wenn Margitta ausgeht, kommt sie einen ganzen Abend lang mit einem hellen Weizen aus, und gegessen wird vorher zu Hause. Die Kosten für ihren kleinen Toyota Yaris bestreiten ihre greisen Eltern, zum Dank dafür, dass Margitta sie hin und wieder zum Arzt oder Apotheker fährt. Margittas alljährlichen Urlaub, vier Wochen Kreta, Nachsaison, finanzierte sie lange Zeit mit Konzerttickets, die sie im Radio gewann. Sie hatte die Telefonnummern aller erreichbaren Sender in ihrem Mobiltelefon gespeichert und war sich nicht zu schade, an mehreren Abenden in der Woche ihre Eltern für Anrufe einzuspannen. Zwei Gratis-Tickets für ein Elton-John-Abschiedskonzert brachten auf dem freien Markt bis zu 1.400 Euro. Vier Wochen Kreta, drei Sterne, zweite Reihe, kosten Margitta 918 Euro, Frühstück inklusive. Da bleibt sogar noch Geld für ein Souflaki im Hafenbistro. Doch das war einmal. Denn der Teufel hat es so gewollt, dass ein Mann (ein Idiot!, sagt Margitta) im April 2015 zwei Tickets für das Finale der UEFA Champions League zugelost bekam. Er zahlte 330 Euro und verkaufte die Tickets einen Monat später für 2.907 Euro. Ein Gewinn von 2.577 Euro! Ein Vierteljahr Kreta, seufzt Margitta. Der Mann (der Idiot, ruft Margitta) freute sich über die wundersame Verzehnfachung seines Gewinns und ging gleichzeitig von der Steuerfreiheit des Veräußerungsgeschäfts aus. Doch als er den Betrag in seiner Steuererklärung angab, erfasste das für ihn zuständige Finanzamt den Gewinn bei der Einkommensteuerfestsetzung. Das war für ihn nicht einzusehen. Er hatte doch lediglich Glück in der Lotterie gehabt und anschließend davon profitiert, dass der Erwerb eines Champions-League-Tickets für die weniger Glücklichen jede Ausgabe rechtfertigt. Er klagte gegen die Entscheidung. Und das Finanzgericht gab ihm recht. Der Bundesfinanzhof jedoch nicht. Er erkannte ein privates Veräußerungsgeschäft im Sinne des § 23 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Einkommensteuergesetz, eine Veräußerung von „anderen Wirtschaftsgütern“. Lediglich Gegenstände des täglichen Gebrauchs seien davon ausgenommen. Doch da ein Champions-League-Ticket nun mal kein Eierschneider ist, müsse der Gewinn versteuert werden. Margitta hasst Steuern fast so sehr wie ehrliche Arbeit und war Zeit ihres Lebens nicht bereit, sie zu zahlen. Sie fürchtete, sollte ihr jemals jemand auf die Schliche kommen, ihr Zubrot zur Invalidenrente versteuern zu müssen. Und so stellte sie ihre Anrufe bei den Radiosendern ein. Sie verfluchte den Vollpfosten, der sich das Geld für die Tickets nicht in bar hatte auszahlen lassen, und machte sich auf die Suche nach einer neuen Einkommensquelle. Überraschenderweise verstarben kurz darauf ihre Eltern und hinterließen Margitta das Haus der Familie, Boppard, Rheinblick, beste Lage. Mit dem Erlös kann Margitta 784 Jahre lang vier Wochen Urlaub auf Kreta machen. Oder sie kauft gleich die ganze Insel. Frühstück inklusive.