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Kuchengate – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Glosse

Kuchengate

Der Begriff, der vorab geklärt werden muss, stammt aus den Anfängen des Journalismus. Wir sprechen von einer Zeit, in der es weder Telefone noch Internet gab und Meldungen oft schwer zu verifizieren, aber immer noch zu schön waren, um sie nicht zu drucken. Um die liebe Kundschaft jedoch zu warnen, dass man vielleicht, wahrscheinlich, könnte schon sein gerade den schlimmsten Quark in die Welt gedruckt hatte, setzte man hinter solche Nachrichten das Kürzel „nt“, die Abkürzung für „non testatum“. Für alle Sophie-Marceau-Fans, die als zweite Fremdsprache lieber Französisch als Latein gewählt haben: „non testatum“ bedeutet „nicht bewiesen“. Sprich, wer diese Meldungen las und daran glaubte, war selber schuld. Unbewiesenen Behauptungen zufolge wurde aus „nt“ im Laufe der Zeit „Ente“, und heutzutage steht die Zeitungsente schlicht für Falschmeldungen oder Artikel mit unglaubwürdigem Inhalt. Musterbeispiele derart schlampiger Recherche sind die in den letzten Monaten veröffentlichten Artikel über die sogenannte „Kuchensteuer“. Die Angelegenheit hat, wie viele andere auch, einen langjährigen Vorlauf.

Der 2015 geänderte und 2017 in Kraft getretene Paragraf 2b des Umsatzsteuergesetzes besagt, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts für bestimmte Leistungen Umsatzsteuer abführen müssen. Übergangs- und Ausnahmeregelungen beiseite, gilt das Gesetz in seiner neuen Form seit Anfang 2023. Laut dieser Bestimmung weisen öffentlich geführte Einrichtungen, nehmen wir einmal Schulen in Baden-Württemberg als Beispiel, Unternehmereigenschaften auf, wenn sie selbstständig eine „nachhaltige Tätigkeit“ zur Erzielung von Einnahmen ausüben. Gilt das also auch für den auf dem Schulbasar verkauften Bienenstich, wenn aus den Einnahmen die Klassenfahrt der 8a zur Zeche Zollverein nach Essen finanziert werden soll? Stehen wir vor einem erneuten Bürokratieskandal, einem „Kuchengate“? Haben wir ein neues EU-Richtlinienschlamassel erster Güte? Ja – und nein. Die Katastrophenhanseln unter den deutschen Journalisten, die daraus eine Meldung fabriziert haben, haben geflissentlich ignoriert (oder schlichtweg nicht begriffen), dass der Bienenstich steuerfrei bleibt, wenn er von Schülern für Schüler verkauft wird.

Sollten irgendwelche Kevins und Dustins allerdings in den Räumen ihrer Schule ein Café aufziehen, dessen Bienenstich mit dem Bienenstich der örtlichen Bäckerei konkurriert und auch noch regelmäßig und in großer Stückzahl an außenstehende Bienenstichliebhaber verkauft wird, müssten sie über kurz oder lang mit dem Besuch der Steuerfahndung rechnen. Soweit klar?

Trotzdem haben die Zeitungsenten für Aufregung gesorgt. Der baden-württembergische Gemeindetagspräsident Steffen Jäger befürchtet hohe Kosten und ein Zuviel an organisatorischem Aufwand. Monatelang werde man sich in den Rathäusern der Republik mit der steuerlichen Relevanz von Kuchenverkäufen in Kitas, Schulen, Bauhöfen, Hallen- und Freibädern befassen müssen. Könnte man, sagen die Dustins und Kevins. Oder man lässt es einfach bleiben. Was, wenn die Steuerfahnder gar nicht erfahren, dass die 8a mit dem Verkauf von 120 Muffins auf dem Abschlussfest der diesjährigen Projektwoche der Realschule Oberurff sage und schreibe 180 Euro erwirtschaftet hat, die, genau wie die 67 Euro Erlös aus dem Limonadenstand auf der Weihnachtsfeier des Schulfördervereins, vollumfänglich in die Finanzierung eines Besuches einer Aluminiumgießerei fließen werden? Was, wenn sich niemand, aber auch wirklich niemand darum schert, dass sich die Kita-Kinder der Olga-Krippe in Heilbronn in Eigenregie um die Co-Finanzierung eines Ausflugs in den Vogelpark Walsrode gekümmert haben? Dann ist das, was dem baden-württembergischen Gemeindetagspräsident als Aufreger dient, lediglich die übliche Folge einer Zeitungsente: heiße Luft. 1:0 für Kevins, Dustins und Kita-Zwerge. Anders liegt die Sache, wenn Dustins (oder Kevins) Tante Martina mit der Züchtung von Zwergspitzen eine Liebhaberei ohne Gewinnerzielungsabsicht ausübt, ihre Einnahmen jedoch über der gültigen Kleinunternehmergrenze von 17.500 Euro im Jahr liegen. In diesem Fall fällt Umsatzsteuer an. Sollten die Preise für Bienenstich steigen, könnte die Sache für Kuchenverkäufer-Nachwuchs dieser Republik also doch noch brenzlig werden.

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