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Eins + Eins = gar nix – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Glosse

Früher war mehr Lametta, und vor allem war früher alles besser, insbesondere die Steuergesetzgebung. Als Beleg für diese These dient uns das alte Germanien, wo die Fürsten ihren Untertanen freistellten, ob sie bereit waren, Steuern zu zahlen. Und wenn ja, wie viele. Selige Zeiten. Kein Wunder allerdings, dass so mancher Fürst zahlungsunfähig und so manche Dorfpalisade zwischen Rhein, Donau und Weichsel baufällig war. Von der germanischen Verwaltung ganz zu schweigen, die wegen Unterfinanzierung in der Regel aus allen Löchern pfiff. Als die Römer beschlossen, ihre Rechtsprechung auf Germanien auszuweiten und Steuern zu erheben, war das Ausmaß der Empörung unter den dortigen Nichtsteuerzahlern groß. Groß genug, um die notorisch zerstrittenen Stämme vereint in die Schlacht im Teutoburger Wald ziehen zu lassen. Alle zusammen gegen die Steuerfahndung und immer feste druff!

Der Kampf endete für die Römer bekanntlich ungut, und Steuerfahndung wurde erst nach Beginn der Völkerwanderung wieder zu einem ordentlichen Beruf. Der allerdings zu keiner Zeit ein leichter war. Erheblich einfacher wurde es, nachdem sogenannte Informanten begannen, Datensätze auf CDs zu brennen und sie der Steuerfahndung anzubieten. Gegen Geld, versteht sich, und nicht gerade wenig: Fünf Millionen Euro! Mein lieber Herr Gesangsverein! Für diese Summe hat Nordrhein-Westfalen 2015 eine Steuer-CD erstanden, die es in sich hatte.

Es handelte sich um ein Handelsvolumen von rund 70 Milliarden Euro, bei dem der Staat um die Kapitalertragsteuer betrogen worden war. Daher fand der damalige Finanzminister Norbert Walter-Borjans die Kaufsumme vertretbar. Er wusste: Amortisieren wird sich das im Nu. Und recht hat er gehabt, der Norbert.

Kurz nach dem Ankauf gingen außerdem Hunderte Selbstanzeigen ein, und die Finanzämter kamen eine Zeit lang aus dem Geldzählen kaum mehr heraus. Nie war Firmenspionage so gesellschaftlich akzeptiert und so einträglich.Leicht kann es jedoch nicht sein, sich Zehntausende Datensätze zu beschaffen, auf CD zu brennen und sie gut verborgen im Büstenhalter oder im Gummibund des Feinrippschlüpfers nach draußen zu schmuggeln. Es muss eine nervenzerfetzende Angelegenheit sein, äußerlich ruhig an seinem kleinen Tisch in der Buchhaltung zu sitzen, an dem Tag, an dem der Geschäftsführung klar wird, dass es ein Datenleck unvorstellbaren Ausmaßes gegeben hat und dass Köpfe rollen werden, darunter vermutlich die eigenen. Die meisten davon in Richtung Gefängnis.

Bei einem Kaufpreis von fünf Millionen verwundert es allerdings nicht, dass dieses Geschäft trotz des hohen Stressfaktors, den es mit sich bringt, immer wieder Nachahmer findet – zur Freude des Landes Nordrhein-Westfalen allerdings nicht immer Nachahmer mit genügend Gehirnzellen. Der Anbieter einer Steuer-CD mit 54.000 Datensätzen hatte vom Land NRW vier Millionen Euro gefordert. Dummerweise hatte er die CD nicht nur deutschen, sondern zeitgleich auch französischen Ermittlern angeboten, jedem Land jeweils die Hälfte der Daten. Die Franzosen, nicht dumm, fragten bei ihren deutschen Kollegen nach, ob ihnen vielleicht die fehlende zweite Hälfte der CD angeboten worden war. Sie war! Kollegial wie nur selten tauschten und ergänzten deutsche und französische Steuerbehörden die fehlenden Daten, die Steuerfahndung in Wuppertal setzte alles wieder ordentlich zusammen und teilte dem überraschten Informanten mit, dass sich der Ankauf erledigt hätte.

Der Informant muss also weiterhin an seinem fensterlosen Platz in der Buchhaltung ausharren, direkt neben der Tür zu den Herrentoiletten, und darauf warten, dass vielleicht einmal wieder der Moment kommt, in dem er, von Kollegen wie Vorgesetzten ungesehen, seinen Memory Stick in den Zentralverwaltungscomputer stecken und ein paar Tausend Datensätze herunterladen kann. Und wenn er seine Lektion gelernt hat, fährt er damit nach Wuppertal. Und nur nach Wuppertal! Nicht auch noch nach Paris! Non, non, non! Wuppertal! Paris: jamais! Wuppertal: oui, bien sûr! Wup-per-tal! Himmelsakra!

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