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Engel zahlen keine Steuern – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Glosse

Den Satz „Früher war alles besser“ kriegt man in der Regel vor allem von Menschen zu hören, denen es früher schon nicht schlecht ging. Die Verklärung der Vergangenheit leisten sich besonders gern die, denen es vor der Zukunft nicht bang sein muss. Dass früher aber zumindest die Mietpreise halbwegs mit dem Einkommen vereinbar waren, ist etwas, das sich schlecht bestreiten lässt. Mieten war früher besser. Abhilfe schaffen sollte der Plan der neuen Bundesregierung, jedes Jahr 400.000 neue Wohneinheiten zu schaffen, darunter 100.000 dringend benötigte Sozialwohnungen. Der Sprecher des Gesamtverbands der deutschen Wohnungswirtschaft hat nun einen Realitätscheck eingefordert. Er rechnet mit weniger als der Hälfte. Gestiegene Materialkosten am Bau, höhere Zinsen sowie gesunkene staatliche Förderung machen den Bau von Wohnungen schlicht unrentabel. Immobilienbauer wie der Bochumer Dax-Konzern Vonovia haben angekündigt, in diesem Jahr überhaupt keine Neubauprojekte mehr zu starten. Allein in Berlin werden 1.500 geplante Wohnungen nicht gebaut. Habe man früher den Quadratmeter für zwölf Euro anbieten können, bewege man sich nun auf in weiten Teilen Deutschlands völlig unrealistische 20 Euro zu. Schlechte Nachrichten für alle, die zu Hause ausziehen möchten, um sich ihre erste Bude mit anderen Ahnungslosen zu teilen, die auch nicht wissen, dass sie eines Tages obdachlos sein werden, sollten sie bei ihrem Plan bleiben, Germanistik und Philosophie auf Magister zu studieren. Bei denjenigen Deutschen, die wie über 50 Prozent der Bevölkerung zur Miete wohnen, ist die Verzweiflung groß. In anderen europäischen Ländern, in denen die Löhne mies und die Renten unsicher sind, war die eigene Wohnung schon immer die einzige Garantie, als Rentner nicht auf der Straße zu landen. Franzosen wohnen zu 35,3 Prozent zur Miete, Spanier zu 24,2 Prozent, Polen gar nur zu 13,2 Prozent. Je weniger man auf den Sozialstaat vertrauen kann, desto bereitwilliger wird man zum Häuslebauer oder zum Abstotterer einer Etagenwohnung mit Fenster zum Hof. Als eine Gnade, ein Hoffnungsstrahl in düsteren Zeiten, oder einfach nur als guter Mensch erscheint vor diesem Hintergrund der Münchner Vermieter Thaddäus Spegel. Der 65-jährige nennt über 100 Wohnungen sein Eigen und verlangt Preise, die teils weit unter dem Mietspiegel liegen. „Meine Mieter haben ihre Wohnungen teilweise komplett hergerichtet, Böden und Küchen eingebaut.“ Deshalb erhöht der Menschenfreund und Wohnungsbesitzer seine Mieten nur äußerst sparsam. Oder gar nicht. „Mir ist wichtig, dass sich meine Mieter wohlfühlen und meine Immobilien gut behandeln.“ Man möchte ihn küssen, den Herrn Spegel. Nur das Finanzamt München sieht das nicht so. Und kann auch gar nicht anders. Denn sobald ein Vermieter weniger als die Hälfte des Mietspiegels verlangt, darf das Finanzamt nach geltendem Recht dessen Kosten für Instandhaltung, Reparatur und Abschreibung nur noch teilweise anerkennen. Das führt in Herrn Spegels Fall dazu, dass er eine 61-Quadratmeter-Wohnung an der Hansastraße, die er derzeit für 540 Euro anbietet, eigentlich für 1.236,17 Euro vermieten müsste. Diese Berechnung macht jedoch laut Herrn Spegel für ihn „keinen Sinn“. Für alle andern auch nicht. Und das sind in diesem Fall die Eigentümer-Initiative Haus und Grund München, der Mieterverein (dass die beiden sich mal einig sind), die Bundesregierung, die Einwohner der Bundesrepublik Deutschland und alle anderen Personen, die schon einmal gezwungen waren, den Großteil ihres Einkommens für ihre Miete auszugeben. Abzüglich natürlich der YouTuberin, die mit einer Aussage durch die sozialen Medien geistert, die ihr (hochverdient!) fünf Minuten Ruhm brachte: „Ich versteh die Leute nicht, die obdachlos sind. Die können sich doch einfach eine Wohnung kaufen.“ Das Finanzamt München jedenfalls sieht sich gezwungen, die Versteuerung eines geldwerten Vorteils für den Mieter von Herrn Spegel einzufordern. Als könnte man an leibhaftige Engel Mahnungen verschicken. Wo bleibt denn der Einwand der deutschen Kirchen? 40.000 Euro Nachzahlung ergab die Steuerprüfung des Vermieters der Herzen. Man möchte sich wie einst Frau Thunberg mit einem Pappschild so lange vor den Bundestag setzen, bis er es seinen Bürgern erlaubt, so großherzig und gütig zu sein, wie sie es eben möchten. Keine Ahnung, ob das früher besser war. Man möchte es bezweifeln.

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