tatort:steuern Schlagwortsuche Archiv
Krummes Ding aus großer Liebe – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Glosse

 

Es ist noch nicht wirklich lange her, dass Heraklit in der Küche seiner Wohnung in Ephesos stand und etwas sehr Kluges in seine Tontafel kratzte: Wir würden den Namen des Rechts nicht kennen, wenn es das Unrecht nicht gäbe. Will heißen, man muss erst gesehen haben, zu was der Mensch imstande ist, um angemessene Dankbarkeit gegenüber dem BGB zu empfinden.

In unserem Fall schlägt das Herz einer Bankangestellten so heftig für ihren Lebenspartner, dass sie beschließt, ihm eine unverhoffte Freude zu machen. Sie loggt sich in das Benutzerkonto einer Kollegin ein und überweist ein Baufinanzierungsdarlehen in Höhe von 170.000 Euro an ihren Liebsten.

Der freut sich über den unverhofften Geldsegen, dankt es seiner Freundin aber denkbar schlecht. Er nimmt erst einmal Urlaub von der Beziehung und schafft es, innerhalb von nur vier Tagen 92.000 Euro zu verprassen. 15.000 Euro in einem Casino, 18.500 Euro in einem Bordell und noch einmal 3.600 Euro für einen schicken Mietwagen und eine Hotelsuite mit Alsterblick. Bei seinem Aufenthalt in Hamburg werden ihm schließlich auch noch 50.000 Euro in bar gestohlen.

Empört macht die Bank gegenüber dem Beklagten bereicherungsrechtliche Ansprüche geltend (will heißen, sie will ihr Geld zurück, und zwar zackig).

Unser junger Freund erweist sich jedoch als juristisch ausgebuffter, als man das von einem Casino- und Bordellbesucher erwarten dürfte, und kontert mit der Behauptung, er sei der Bank ja nun gerade mal überhaupt nichts schuldig. Er habe das Geld zum allergrößten Teil für „Luxusaufwendungen“ ausgegeben. Aufwendungen, die er sich überhaupt erst durch die unverhoffte Bereicherung habe leisten können und die er andernfalls gar nicht erst getätigt hätte. Nun sei das Geld weg und er somit gründlich entreichert. Und mit dem Wegfall der Bereicherung gelte für ihn daher § 818 Absatz 2 BGB: Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

Das ist ja allerhand, mögen viele sagen, die sich ihrer Moral sicher glauben. Aber unser juristisch halbgebildeter Gelegenheitsdieb steht mit seiner Meinung nicht allein da. Ein Beispiel gefällig? Aber gerne doch.

Der Kosmetikhersteller Revlon steht im August 2020 bei seinen Gläubigern mit mehreren Hundert Millionen Euro in der Kreide. Kreditverwalter der seit Jahren angeschlagenen Schminkbude ist die US-Großbank Citigroup. Die überweist den Revlon-Gläubigern in diesem Jahr anstatt der fälligen 7,8 Millionen Dollar Zinsen den vollen Kredit (!) zurück. Achthundertdreiundneunzig (893!) Millionen Euro. Nachdem der Fehler bemerkt ist, rücküberweisen die meisten Gläubiger das Geld. Die meisten, aber längst nicht alle. Ein paar behalten es einfach. Und berufen sich darauf, dass sie es für schlicht unvorstellbar, ja irrational gehalten hatten, dass eines der fortschrittlichsten Finanzinstitute der Welt zu einem solchen kapitalen Fehler überhaupt in der Lage sei.

Und hier wie überall auf der Welt ist es der Glaube, der Berge versetzt. Oder zur Einbehaltung von 501 Millionen Dollar berechtigt. Denn das ist ihr gutes Recht, urteilt Richter Jesse Furman vom United States District Court for the Southern District of New York. Solange die Gläubiger glaubhaft machen können, sie seien davon ausgegangen, dass die Überweisungen der Citigroup beabsichtigt waren, dürfen sie das Geld behalten.

Zurück zu unserem norddeutschen Fall: Hier sehen die Richter der vierten Zivilkammer in Hannover das jedoch ganz und gar anders. Der Beklagte habe keinesfalls davon ausgehen können, dass eine Bank ihm absichtlich und aus freien Stücken 170.000 Euro zur Verfügung stellt, um sie mit Prostituierten und Spielsüchtigen zu verprassen. Er habe von Anfang an mit der Rückzahlung des Geldes rechnen müssen. Und aus diesem Wissen um die Unrechtmäßigkeit seiner Bereicherung folgt, dass er nicht entreichert sein kann.

Nach Heraklit haben wir damit genug Unrecht gesehen, um im Fall des Falles zu wissen, was zu tun ist. Sollten wir durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt haben, werden wir es erst einmal zwischenparken. Weder werden wir Bordelle besuchen noch unser Glück in Casinos versuchen. Schon gar nicht werden wir nach Hamburg fahren, um uns dort ausrauben zu lassen. Wir werden warten und, wenn sich der Staub gelegt hat, alles in eine seniorengerechte Eigentumswohnung mit ebenerdigem Zugang investieren.

Denn wer weiß schon, wann mal wieder wer was überweist …

Mehr zum Thema