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Immer Ärger mit dem Personal – Mandantenzeitschrift tatort:steuern

Glosse

Ist „Treu & Glauben“ (A) eine Steuerkanzlei in Bad Oeynhausen, (B) eine Fernsehserie des ZDF-Vorabendprogramms oder (C) ein Rechtsgrundsatz, der im Bürgerlichen Gesetzbuch unter Paragraph 242 Erwähnung findet?

Logo, natürlich ist es der Paragraph 242. Der, wie jeder weiß, einen offenen Tatbestand darstellt, also ein allgemeines Prinzip des Rechts, das in verschiedenen Kontexten interpretiert und angewendet werden muss. Dabei stellt „Treu“ eine Haltung von allgemeiner Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Rücksichtnahme dar, während „Glauben“ das Vertrauen in eben diese Haltung beschreibt. Das Besondere an „Treu und Glauben“ ist, dass er eine Ausstrahlwirkung auf alle Rechtsbereiche und Gesetze in Deutschland hat. Er ist quasi eine der gar nicht so zahlreichen Mütter aller deutschen Gesetze. Da er jedoch recht vage formuliert ist, gilt es, bei seiner Anwendung die in Betracht kommenden Interessen aller Parteien sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Und so wie Bon Jovi für die einen eine legitime Band, für andere jedoch nur ein schlecht gealterter „Bravo“-Starschnitt ist, kann „Treu und Glauben“ sowohl die Durchsetzung als auch die Verwirkung eines Rechts bewirken.

Beispiel gefällig?

Eine Verwaltungsangestellte beginnt auf Kosten ihres Arbeitgebers eine Fortbildung und kündigt mittendrin? Nach Treu und Glauben zahlt sie die Kosten für die Fortbildung, die ihrem Arbeitgeber entstanden sind, zurück.

Ein Vermieter erhöht ohne Grund die Nebenkostenabrechnung, nachdem der Mieter jahrelang dieselbe Summe bezahlt hat? Nach Treu und Glauben hat der Vermieter sein Recht auf eine höhere Abrechnung verwirkt, da der Mieter davon ausgehen durfte, dass die bisherige Abrechnung bei gleichbleibenden Kosten nicht geändert wird.

Noch unklar? Gar kein Problem. Ein letztes schönes Beispiel für unseren Rechtsgrundsatz „Treu und Glauben“ liefert ein un­schöner Streit um eine Vermittlungprovision:

Ob Handwerk, Industrie, IT-Branche oder Pflege – jedes fünfte Unternehmen in Deutschland klagt über Fachkräftemangel. Nutznießer dieser Entwicklung sind Agenturen, die das rare Gut „Arbeitnehmer“ bei Bedarf vermitteln können. Gerne für eine bis zu fünfstellige Provision. In unserem Fall zahlt eine Firmenchefin 4.500 Euro Vermittlungsprovision für einen Mitarbeiter, der am 1. Mai 2021 seine Arbeit aufnimmt. Pfiffig und mit allen Wassern gewaschen lässt die Chefin allerdings im Arbeitsvertrag festschreiben, dass der Neue die von ihr gezahlte Provision erstatten muss, sollte er vor Ablauf der sechsmonatigen Probezeit kündigen.

Die neue Fachkraft kommt. Und braucht keine sechs Monate, sondern knappe zwei, um zu erkennen, dass sie in dieser Firma nicht sein möchte, sondern lieber ganz, ganz woanders. Die Chefin grollt und schmollt und zahlt ihrem Ex-Arbeiter einen um 809 Euro gekürzten letzten Monatslohn aus. Wie im Vertrag geschrieben steht, soll der Arbeitnehmer einen Teil der Provision zahlen, die seine Chefin für ihn ausgegeben hat.

Der Arbeitnehmer jedoch denkt gar nicht daran, diese Art der Lohnkürzung einfach so hinzunehmen. Er wittert Sittenwidrigkeit und sieht sich (Achtung, hier schließt sich der Kreis) nach den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.

Benachteiligt? Von wegen benachteiligt, tobt da die Chefin und strengt Widerklage an. Sie möchte, nun erst recht, die volle Provision erstattet haben. Was der kann, kann sie schon lang.

Die Richter des Bunderarbeitsgerichts beginnen daraufhin mit ihrer Arbeit, die, wie eingangs erwähnt, vornehmlich auf dem gründlichen Abwägen entgegengesetzter Interessen beruht. Und sie kommen zu einem (zumindest für unsere Arbeitgeberin) niederschmetternden Ergebnis: Die Chefin versuche, ihr unternehmerisches Risiko (Arbeitnehmer können kündigen) auf ihren Angestellten abzuwälzen, und beeinträchtige damit außerdem dessen garantiertes Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes. Dass sich von ihr, der Chefin, getätigte finanzielle Aufwendungen nicht lohnen, weil ein neuer Arbeitnehmer sich in ihrem Betrieb so sehr nicht wohlfühlt, dass er schon nach acht Wochen rechtlich völlig zulässig seinen Hut nimmt, stelle ein Risiko dar, dass sie und sie ganz allein zu tragen habe.

Zudem raten sie der grimmigen Chefin, anstatt potenzielle Bewerber mit Klagen zu überziehen, lieber in flexible Arbeitszeiten, höhenverstellbare Schreibtische, teambildende Maßnahmen und einen betriebseigenen Kindergarten zu investieren. Dann, so die Richter, kommen die Fachkräfte von ganz allein.

Haben die? Echt jetzt? Nee, nur Spaß. Aber recht hätten sie damit gehabt haben können.